Boris Herrmann hatte es selbst schon vor Rennbeginn geahnt: „Bei der letzten Auflage der Vendée Globe ging es in sieben Tagen zum Äquator. Dieses Mal werden es wohl eher zehn Tage sein.“ Genauso wird es wohl kommen. Der 39-jährige Hamburger Skipper der „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“ wird den nullten Breitengrad voraussichtlich am frühen Donnerstagmorgen kreuzen. Zuvor hat Spitzenreiter Alex Thomson („HUGO BOSS“) den Äquator bereits am heutigen Mittwoch (18. November) um 14.19 Uhr deutscher Zeit erreicht. Für die Passage vom Start- und Zielhafen Les Sables-d’Olonne bis zum Äquator benötigte Thomson 9 Tage, 23 Stunden und 59 Minuten. Der Brite führt die Flotte mit dem Eintreten in die Südhalbkugel vorerst weiter vor Thomas Ruyant („LinkedOut“) und Charlie Dalin („Apivia“) an.

Boris Herrmann wird den Äquator bereits zum elften Mal kreuzen. Der dreimalige Weltumsegler, der die Erde aktuell zum ersten Mal alleine und insgesamt zum vierten Mal umrundet, empfindet das anstehende Ereignis dennoch als besonders: „Es ist schon aufregender als sonst, denn es steht so viel auf dem Spiel. Es geht ums Große und Ganze, es darf nichts schiefgehen, es dürfen keine Fehler unterlaufen. Daher herrscht auch ein besonderer Druck, den ich mir natürlich selbst mache.“

Mit seiner Imoca-Yacht «Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“ hat Boris Herrmann eine bislang beherzte und starke Vendée-Globe-Premiere bestritten und sich in den vergangenen Tagen in die Top Ten vorgearbeitet. „Ich bin happy“, sagte Herrmann, „ich habe vor dem Rennen gesagt, dass ich den Äquator in den Top Ten kreuzen möchte. Dafür sieht es gut aus. Wenn man die Weltkugel in vier Abschnitte einteilt, ist das erste Viertel zum Äquator fast geschafft. Von der reinen Rennstrecke sind aber erst etwa 13 Prozent gesegelt. Es waren anstrengende Tage. Erst die Kaltfront, dann der tropische Sturm haben uns alles abverlangt. Jetzt sind wir in den Doldrums, die wir allerdings heute verlassen dürften. Ganz ohne sind die auch nicht. Da gehen Böen-Fronten mit 30 Knoten und mehr durch.“

In einer solchen befand sich Herrmann am Nachmittag vor Erreichen des Äquators. „Ich hatte gerade das Großsegel gerefft, die J3 gewählt und die anderen Segel weggenommen. Da konnte ich Sam Davies für kurze Zeit auf dem AIS sehen.“ Der Deutsche und die in Frankreich lebende Engländerin lieferten sich ein packendes Fernduell. Herrmann erzählt: „Sam hatte gerade drei Seemeilen gewonnen. Da hätte ich vielleicht etwas mehr riskieren können, aber bei 30 Knoten muss man kein volles Groß mehr oben haben. Sie war mit kompletter Segelgarderobe abgefallen und fuhr mit 22 Knoten nach Südwest. Ich bin mit Reff und J3 nach Süden. Da hatten wir einen kleinen Split. Ich war nicht sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte oder ihr hätte folgen sollen, aber ich wollte auch meinen Mast schonen.“ Herrmanns kurzzeitige Sorgen, dass sich Sam Davies hier einen Vorteil hat erkämpfen können, erwiesen sich eine halbe Stunde später als unbegründet: „Meine östlichere Positionierung hat sich ausgezahlt. Ich konnte dann auf dem AIS sehen, wie ich wieder an ihr vorbeigedüst bin. Da fuhr sie gerade 14,6 Knoten und wir mit 21. Das sieht man doch gerne.“

Zu solchen „Rennen im Rennen“ kommt es bei der laufenden Solo-Weltumseglung inzwischen regelmäßig. An der Spitze machen Thomsons französische Verfolger Thomas Ruyant und Charlie Dalin weiter Druck. Zu Thomsons bisheriger Leistung sagte der mit ihm befreundeten Boris Herrmann: „Alex segelt super. Wie geplant. Er ist dieses Projekt am rigorosesten, am intensivsten und am wissenschaftlichsten angegangen. Er hat sein Schiff mit einer tollen Mannschaft sehr gut vorbereitet und liegt verdient in Führung. Thomas Ruyant ist allerdings ein starker Konkurrent für ihn, denn er ist ein arger Kämpfer. Ich bin mit ihm zusammen vor drei Jahren im Transat Jacques Vabre diese Strecke gesegelt. Das wird noch ein spannendes Rennen…“

Die Nachrichten von Nicolas Troussels Mastbruch auf „CORUM L’épargne“ am 16. November hat Boris Herrmann mit großem Bedauern aufgenommen und die Ursachenforschung mit viel Interesse verfolgt: „Wir wollten natürlich genau wissen, wieso, weshalb, warum? Denn wir haben alle den gleichen Mast, ähnliche Alarme und ähnliche Studien von GC Design. Am Mittwoch wurde im technischen Komitee der Imoca-Klasse gesagt, dass dort 20 Tonnen permanent und 24 Tonnen Spitzenbelastung auf den Outriggern gesehen wurden. Ich habe meinen Alarm bei 17 Tonnen. Das höchste, was ich je gesehen habe, waren 18 Tonnen in Situationen, in denen das Boot in die Wellen schlägt. Insofern wurde dort einfach mit zu hohen Lasten gesegelt. Das ist gut zu wissen. Die grobe Theorie scheint zu stimmen.“

Die schnellsten Boote der neunten Auflage der Vendée Globe werden Mitte Januar in Les Sables-d’Olonne zurückerwartet. Wie weit der mit Bruch in den Starthafen zurückgekehrte und am 17. November nach schnellen Reparaturen erneut ins Rennen durchgestartete ehemalige Co-Favorit Jérémie Beyou sich bis dahin vorarbeiten kann, muss sich in den kommenden Wochen und Monaten erweisen. Beyou sagte nach seiner ersten Nacht auf See: „Es ist ein seltsames Gefühl, weil ich daran gewöhnt bin, andere Boote um mich herum zu haben. Ich weiß also nicht, ob man das hier ein Rennen nennen kann. Aber es ist gut, wieder auf See zu sein.“

Quelle: Vendée Globe - Pressemitteilung vom 18. November