Fotos: ©Sven Jürgensen

Auf der Kieler Woche startet das Bat Sailing Team mit Sehbehinderten und Gehörlosen an Bord zum zweiten Mal in der internationalen J/70-Klasse gegen 38 weitere Boote aus fünf Nationen. Das Kieler Woche Presse Team hat das Bat Sailing Team Blindfisch auf einer Trainingsfahrt vor Kiel-Schilksee begleitet:

Ein Vibrieren geht durch das Unterliek der J/70. Johannes Löschke fühlt kurz in das Tuch, zupft leicht an der Streckerleine. Sofort ist wieder alles schier, ungehindert umstreift der Windstrom das Großsegel, sorgt für optimalen Vortrieb, und die Konzentration gilt ganz Gewichtstrimm und Kurs. Trimmer Löschke meldet die kleinsten Bootsbewegungen an Steuermann Marvin Hamm. Taktikerin Mieke Klein zählt die Kurz-Countdowns für die Böen runter: „Wind in drei, zwei, eins. Jetzt!“ Auf dem Vorschiff sind David Koch und Jessika Stiefken für die Gennaker-Manöver zum Sprung bereit.

Die Trainingsmitfahrt auf der „Blindfisch“, der J/70 des Bat Sailing Teams aus Hamburg, gibt dem Besucher Rätsel auf. Wer von den fünf Aktiven in dieser Inklusionscrew ist eigentlich sehbehindert? Hinter den Sonnenbrillen ist es nicht zu erkennen, an den Bewegungen der Crew-Mitglieder auch nicht. Johannes Löschke spürt den Wind, riecht den Regen und erfühlt jede leichte Kursabweichung. David Koch turnt auf dem Vorschiff und reißt am Gennaker-Fall, als hätte er festen Boden unter den Füßen. Tatsächlich sind es die beiden, die nur ein paar Prozent Sehkraft haben. Offiziell gelten sie damit als blind.

Am Segeln lassen sie sich davon nicht hindern – nicht mal am Regattastart. Im vergangenen September gab das Team, das unter den Standern des Norddeutschen Regatta Vereins NRV und der Segelabteilung des FC St. Pauli startet, seine Kieler Woche-Premiere in genau dieser Crew-Zusammensetzung. „Wir unterstützen das Vorhaben ungeachtet logistischer Herausforderungen aus tiefer Überzeugung“, sagt Kieler Woche-Organisationsleiter Dirk Ramhorst, „denn hinter der Speerspitze 2.4mR-Klasse, die per se Behinderte und Nicht-Behinderte zusammenführt, soll für uns Inklusion kein Wunschgedanke bleiben. Wir setzen das auch um.“

Immerhin zwei Teams ließen die Bat-Mannschaft vor neun Monaten hinter sich. Und jetzt? „Diesmal wollen wir die Ergebnisliste umdrehen“, sagt Steuermann Hamm. Sein Lachen verrät: Ernst gemeint ist diese Zielvorgabe nicht, aber der Ehrgeiz blitzt doch durch. Ein paar Plätze nach oben soll es gern gehen.

In den vergangenen Monaten haben sich die Fünf noch besser aufeinander eingespielt. Zehn Trainingseinheiten haben sie absolviert, in variierenden Teamkonstellationen zum Jahresauftakt an Regatten auf der Alster teilgenommen. Das Gefühl für die J/70 wird immer stärker, das Selbstbewusstsein auch: „Auf kleinen Regatten würden David und ich uns auch zutrauen, das Boot mit entsprechenden Anweisungen selbst zu steuern – zur Kieler Woche allerdings noch nicht“, sagt Löschke. Im Feld von 40 ambitionierten Crews vertrauen sie der eingespielten Aufgabenverteilung: Jessika Stiefken bildet die Augen für Trimmer Johannes Löschke, ist zudem mit David Koch bei den Gennaker-Manövern die Kraftzentrale im Vorschiff. Taktik und Kurs bestimmen Mieke Klein und Marvin Hamm.

Die J/70 des Inklusionsteams ist identisch zu denen der Konkurrenz, hat nur ein paar unsichtbare Modifikationen. Als Marken in Schoten, Fallen und Streckern dienen auf der „Blindfisch“ Taklings und keine Edding-Striche. So werden die Trimmvorgaben tastbar. Die Abstimmung an Bord ist damit exakter geworden. Anweisungen zum Schotzug lauten nun nicht mehr „ein Stückchen“, sondern sind zentimetergenau.

Auffälliger Unterschied zu den anderen Crews ist aber ein akustischer: Auf der J/70 aus Hamburg wird fast ständig geredet. „Wer nicht spricht, verliert“, erklärt Löschke. Damit auch die sehenden Crewmitglieder wissen, wie wichtig die Kommunikation ist, sind auch schon Mieke Klein und Jessica Stiefken „blind“ gesegelt. Um sich an Bord mit anderen Sinnen zu orientieren, gab es eine Dunkelbrille – und blaue Flecken. Aber Mieke Klein winkt ab: „Die gibt es auf der J/70 immer.“

Sportliche Zurückhaltung und übertriebene Sorge gibt es eben nicht bei den selbsternannten „Fledermäusen“ (englisch: bat), die beim Segeln vor allem auf Gefühl und Gehör setzen. Und Vorschiffsmann Koch macht klar, wann das Adrenalin in der Crew für besondere Glücksgefühle sorgt: „Unter Gennaker ist es am besten. Wir lieben den Rausch der Geschwindigkeit.“

Text: Pressemeldung Kieler Woche